Hundeschule Rotter

Nur mal eben über die Schnauze geleckt?

Die Licking Intention ist ein kleines, aber feines Ausdruckssignal beim Hund, dass den meisten von uns bestimmt schon oft über den Weg gelaufen ist - ohne dass wir es bewusst registriert haben.

 

                       

Gemeint ist mit dem Begriff „Licking Intention“ ein kurzes Zeigen der eigenen Zunge, bzw. die Intentionsbewegung zum Lecken der eigenen Schnauze. Häufig wird die Bewegung mehrfach schnell hintereinander ausgeführt. Die Licking Intention sieht damit nur minimal anders aus als das vollständige „Lecken der eigenen Schnauze“. Beide Ausdruckssignale sind sich aber sehr ähnlich und sind in der Regel auch in ihrer Bedeutung gleichzusetzen.

Definition: Bei der Licking Intention und auch beim „Eigene-Schnauze-Lecken“ handelt es sich um eine mimische Geste, die als ein „umgeleitetes Lecken der Schnauze des Gegenübers“ verstanden werden kann. Diese Geste ist hochritualisiert und dient dem Beschwichtigen aus der Distanz - in potentiell oder tatsächlich konfliktträchtigen Situationen.

Funktion: Ein Sozialpartner wird immer dann auf solche Weise beschwichtigt, wenn dieser räumlich entfernt ist oder z. B. durch sein Drohen keinen direkten Kontakt zulässt. Der unterlegene oder unsicherere Hund möchte sich eigentlich also aktiv unterwerfen, indem er die Schnauze oder Maulwinkel des Gegenübers leckt – die Situation gibt diese Annäherung aber nicht her! So muss also aus der Distanz beschwichtigt werden. Stellvertretend für die Lippen des Gegenübers wird die eigene Schnauze geleckt (oder eine Leckbewegung angedeutet). Der Blick ist dabei oft auf das nicht erreichbare Gegenüber gerichtet. Die Licking Intention ist eine Bewegung, die der Deeskalation oder dem „Neutralisieren“ aggressiver Auftritte dienlich ist.

Häufig wird die Licking Intention auch bei der freundlich-demütigen Begrüßung eines Artgenossen gezeigt. Schnauzeleckend wird so geschickt die Indivualdistanz des Anderen unterschritten, die Nähe des anderen „ergaunert“. Oftmals zeigen die Hunde hier einen Gesamtausdruck mit Verhaltens-Elementen aus der passiven und aktiven Unterwerfung. Der ein oder andere Hund begrüßt auf diese Weise auch seinen Sozialpartner "Mensch".

Der Licking Intention kommen unterschiedliche Bedeutungen zu, die je nach Kontext variieren. Zu beachten ist immer der Gesamtausdruck in der Körpersprache des Hundes („Display“). Also, wichtig, nicht jede Leckbewegung signalisiert Unterwürfigkeit oder Beschwichtigung!

Die Licking Intention wird nämlich in der Konfliktsituation auch von sozial ausgesprochen sicheren Tieren gezeigt. Hier unterbricht die Licking Intention kurz das offensive Drohen (Zähneblecken), der selbstbewusste Gesamtausdruck des Hundes bleibt dabei stabil. Bei Wölfen ist dies wesentlich häufiger zu beobachten als bei Hunden, und es kursieren verschiedene Hypothesen zur Bedeutung des Signals in diesem Kontext. Viele Ethologen gehen davon aus, dass es sich um eine Geste der Versöhnung ("Reconciliation") handelt, wie auch das Händereichen unter Primaten nach einem Konflikt. Das überlegene Tier imponiert und droht zwar weiterhin, versichert dem Unterlegenen aber gleichzeitig noch die Zugehörigkeit zur Gruppe. Auch bei Hunden wirkt solch ein Mischausdruck (sicheres Drohen und Zunge-Zeigen) wohl im Sinne der Eskalationsvermeidung und stärkt so den Zusammenhalt der Gruppe.

Die Licking Intention kann also im Konflikt und rund um die soziale Annäherung gezeigt werden. Es geht um freundlich-demütige Kontaktaufnahme und um soziale Integration. Um das Hemmen von Aggression, Sich-Unterwerfen, Besänftigen, aber auch um Versöhnung und Zusammengehörigkeit.

Ursprung: Die Licking Intention zählt zu den sozio-infantilen Verhaltensweisen. Das sind Verhaltensweisen, die zwar schon im Welpenalter ausgeführt werden, aber auch noch beim erwachsenen Hund als Elemente sozialer Kommunikation erhalten bleiben. So hat das Zunge-Zeigen und Schnauze-Lecken den Ursprung im welpenhaften Futterbetteln. Ein Welpe oder Junghund leckt die Mundwinkel der Mutter (oder eines anderen erwachsenen Hundes), um diese zum Hervorwürgen von Futter aufzufordern.

Verwechslungsgefahr: Nicht jedes Zunge-Zeigen ist eine Licking Intention. So hat das Schnauze-Lecken eines Hundes nach dem Fressen oder Trinken nichts mit Demutsverhalten zu tun! Es gehört „nur“ zum stoffwechselbedingten Verhalten in diesem Fall und erfüllt keinerlei kommunikative Funktion. Außerdem sieht man auch schon einmal Hunde, die sich beim Rennen oder bei Anstrengung über die Schnauze lecken, oder als Erscheinung von Konzentration und Anspannung. Auch dieses Schnauze-Lecken dient nicht als kommunikatives Ausdruckssignal.

Wortklaubereien: Viele Ethologen (Verhaltensforscher) legen nicht nur Wert auf die korrekte Zuordnung eines körpersprachlichen Signals in seinen jeweiligen Funktionskreis, sondern auch auf die korrekte Bezeichnung dieses Signals. In diesem Fall ist es wohl gleich, ob man von „Licking Intention“, von „Zunge-Zeigen“ oder von „gerichteter oder ungerichteter Leckbewegung“ spricht. Nur das Wort „Züngeln“ ist unter Hunde-Forschern extrem verpönt. Besonders sauer stößt dieser Begriff übrigens der bekannten deutschen Ethologin Dr. Dorit Feddersen-Petersen auf. Sie wird nicht müde, regelmäßig auf kleineren und größeren Veranstaltungen zu betonen, dass Hunde „niemals züngeln!“. In ihrem Buch „Ausdrucksverhalten beim Hund“ widmet sie dem nicht-hündischen Züngeln deswegen sogar einen eigenen Abschnitt. Zitat: "Das Züngeln der Repitilien ist ein Riechvorgang, kann also unmöglich in Verbindung mit der Beschwichtigung u.a. unter Caniden gesehen werden, nicht einmal rein deskriptiv! [...] Die Funktionen des 'Leckens der eigenen Nase' hingegen sind andere, nicht in der Ausführung vergleichbar, nicht abstammungsähnlich, nicht in der Funktion vergleichbar. Somit halte ich eine entsprechende Benennung für unglücklich, da irreführend, weder analoge noch homologe Komponenten besitzend." So, so, da wissen wir Bescheid!

Fazit: Zunge-Zeigen und Schnauze-Lecken beim Hund sind kein „Zufall“, sondern erfüllen oft eine kommunikative Funktion. Dass solch winzig kleine und kurze Signale so viele verschiedene Bedeutungen haben können, ist nur ein Beispiel für den Facettenreichtum von Körpersprache bei Mensch und Tier. Wenn man genau darauf achtet, kann man auch beim eigenen Hund unendlich viele Details im Ausdruck erkennen: kleinste Kopf- und Augenbewegungen, Muskelanspannungen, Gewichtsverlagerungen, Ohrenspiel, feine Veränderungen in Mimik und Gestik. Die Körpersprache unseres Hundes verrät uns, in welcher Stimmung er sich gerade befindet und welche Motivation ihn aktuell antreibt. Wir können besser verstehen, warum unser Hund sich wie verhält und erhalten Hinweise darauf, was womöglich als Nächstes geschehen wird. Die Wahrnehmung der körpersprachlichen Details ist eine gute Grundlage, um Hunde-Verhalten im Kontext zu verstehen und einzuschätzen. Und das Gute: es ist tatsächlich vor allem Übungs-Sache. Probiert es aus, es macht richtig Spaß, genauer zu beobachten und die eigene Wahrnehmung zu schulen. Und selbstverständlich könnt ihr auch bei uns in der Hundeschule immer nachfragen! Im besten Fall wissen wir um eine schlaue Antwort, im schlimmsten Fall rätseln und hypothetisieren gemeinsam. Das macht auch Spaß!